TTIP-Investorenschutz:
Die Perversion eines Systems*
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Ein Interview mit Pia Eberhardt**
Staaten erkennen Risiken immer erst, wenn sie verklagt
werden - und dann ist es meist zu spät, um das Unheil abzuwenden: Der
Investorenschutz im TTIP wird nach Einschätzung von Pia Eberhardt von Corporate
Europe Observatory zu enormen Kosten für die europäischen Steuerzahler führen.
Es handelt sich um einen Einbahnstraßen-Gerechtigkeit zugunsten der
internationalen Konzerne.
Deutsche
Wirtschafts Nachrichten:
Frau Eberhardt, die aktuellen Daten der UNCTAD zeigen: Im Jahr 1995 gab es
gerade einmal drei Investor-Staat-Klagen. Allein 2015 sind 70 neue Klagen
eingereicht worden, so viele wie nie zuvor. Insgesamt wissen wir von fast 700
Klagen weltweit. Das ist ein großer Sprung. Spielt die zunehmende
Internationalisierung der Unternehmen für diese Entwicklung eine wichtige Rolle
oder sind die Unternehmen einfach nur mutiger geworden?
Pia
Eberhardt: Im Wesentlichen
gibt es für den Anstieg der Klagen zwei Erklärungen. Erstens ist das System in
der Unternehmenswelt bekannter geworden. Sie wissen, dass sich damit von
Umweltgesetzen bis zu gesundheitspolitischen Maßnahmen so ziemlich alles
angreifen lässt. Und, dass das System finanziell lukrativ ist. Zweitens sind
Investor-Staat-Klagen mittlerweile ein eigenes Geschäftsfeld geworden.
Kanzleien, Schiedsrichter/Innen und Prozessfinanzierer verdienen damit sehr
viel Geld und heizen die Maschine weiter an, indem sie Unternehmen ermuntern,
zu klagen.
Deutsche
Wirtschafts Nachrichten:
Teilweise werden bei internationalen Schiedsgerichten schon heute
Schadensersatzforderungen in Milliardenhöhe gewährt. TransCanada hat beispielsweise
nach dem Nein der US-Regierung zum Pipeline-Projekt Keystone XL eine Klage mit
einer Forderung in Höhe von 15 Milliarden Dollar angekündigt. Wie kommen solch
hohe Summen zusammen?
Pia
Eberhardt: TransCanada hat
bisher nur etwa 2,4 Milliarden US-Dollar tatsächlich investiert. Der Rest sind
verlorene zukünftige Gewinne, für die der Konzern entschädigt werden möchte.
Das ist in Investor-Staat-Klagen üblich – und oft sprechen Schiedsgerichte
tatsächlich Schadenersatz für solche entgangenen, hypothetisch in der Zukunft
erwirtschafteten Gewinne zu. Auf Basis des aktuellen EU-Vorschlags wäre das
ebenfalls möglich.
Deutsche
Wirtschafts Nachrichten:
Die EU hat statt dem heiß debattierten Investorenschutz-Mechanismus ISDS nun
das “Investment Court System“ vorgeschlagen. Lassen sich damit solche Klagen
verhindern?
Pia
Eberhardt: Nein. Klagen wie
die von Vattenfall gegen Umweltauflagen beim Kohlekraftwerk in Moorburg, die
des Tabakkonzerns Philip Morris gegen Nichtraucherschutzgesetze in Uruguay oder
die angekündigte TransCanada Klage gegen die USA wären auf Basis des
EU-Vorschlags genauso möglich. Der Grund dafür ist, dass der Vorschlag genau
dieselben Investorenrechte enthält, auf die sich diese Konzerne auch in anderen
Verträgen berufen.
Deutsche
Wirtschafts Nachrichten:
Was sind Ihrer Meinung nach die größten Schwächen des EU-Vorschlags zum eigenen
Investorenschutz-Mechanismus?
Pia
Eberhardt: Besonders
gefährlich finde ich an dem Vorschlag, dass er mit Begriffen operiert, in die
Menschen viel Vertrauen haben, also zum Beispiel mit Gerichten, Richtern,
Unabhängigkeit. Hinter diesem Geschwafel von Rechtsstaatlichkeit verbirgt sich
aber eben ein System, das eine der mächtigsten Akteursgruppen in unserer
Gesellschaft – ausländische Investoren – aus der bestehenden Rechtsordnung
herausnimmt, ihnen mehr Rechte gibt als allen anderen in unserer Gesellschaft,
die sie vor einem für sie eigens eingerichteten Rechtssystem einklagen und
weltweit vollstrecken können.
Deutsche
Wirtschafts Nachrichten:
Gibt es auch positive Aspekte?
Pia
Eberhardt: Positiv am
EU-Vorschlag ist, dass die Verfahren transparenter werden, dass es einen
Berufungsmechanismus geben wird und die Ernennung der Schiedsrichter verbessert
wird. Das heißt, das Prozedere der Investor-Staat-Klagen wird verbessert. An
den Gefahren für die Demokratie, für Politik im öffentlichen Interesse und
öffentliche Haushalte ändert sich dadurch aber rein gar nichts. Die Klagen
werden trotzdem kommen, sie werden sich gegen Umweltgesetze & Co. richten
und zu hohen Schadenersatzzahlungen führen, die im Rahmen bestehender Rechtssysteme
kaum vorstellbar wären.
Deutsche
Wirtschafts Nachrichten:
Wieso lässt sich die EU überhaupt darauf ein, das mit TTIP ein entsprechender,
ganz spezifischer Investorenschutz vereinbart wird?
Pia
Eberhardt: Die
Generaldirektion Handel in der EU-Kommission und die Wirtschaftsministerien der
Mitgliedstaaten der EU, die in dieser Sache federführend sind, vertreten im
Wesentlichen die Interessen ihrer großen Unternehmen. Deren Spielraum im
Ausland wird durch die Klagerechte massiv ausgeweitet. Es spielt aber auch eine
Rolle, dass die Risiken des Systems weiterhin unterschätzt werden. In der Regel
verstehen Staaten die Risiken erst, wenn sie verklagt werden – dann ist es aber
zu spät.
Deutsche
Wirtschafts Nachrichten:
Wie stark sind denn deutsche bzw. europäische Unternehmen bei internationalen
Klagen vor Schiedsgerichten bisher vertreten? Die Zahl der öffentlich
gewordenen Fälle von Investor-Staat-Klagen ist in den vergangenen Jahren
explodiert. Die Zahl der öffentlich gewordenen Fälle von
Investor-Staat-Klagen ist in den vergangenen Jahren explodiert.
(Grafik:
Corporate Europe Observatory)
Pia
Eberhardt: Deutsche und
europäische Unternehmen sind bei Investor-Staat-Klagen ganz vorne dabei. Nur
amerikanische, niederländische und britische Investoren klagen häufiger als
deutsche. Nimmt man Investoren aus allen EU-Staaten zusammen, so haben sie
weltweit die meisten Investor-Staat-Klagen eingereicht. Übrigens verklagen sie
so auch manchmal ihre eigenen Regierungen, indem sie ihre Investition clever
über eine Briefkastenfirma oder andere Konstruktionen im Ausland strukturieren.
So haben zum Beispiel die rumänischen Micula-Brüder die rumänische Regierung
über eine Konstruktion in Schweden verklagt – und zwar deshalb, weil die
rumänische Regierungen Subventionen zurückgenommen hat, wozu sie wiederum von
der EU verpflichtet wurde. Die EU-Kommission hat mehrmals erfolglos in die
Klage interveniert – Rumänien hat trotzdem verloren, obwohl es einfach nur
EU-Recht umgesetzt hat. Eine von vielen Klagen, die die Perversion des Systems
zeigt – die europäische Unternehmen genauso nutzen wie andere.
Deutsche
Wirtschafts Nachrichten:
15 Personen sollen im Vorschlag der EU zum Investorenschutz zukünftig als
Schiedsrichter in Verfahren zur Verfügung stehen, jeweils drei werden pro Fall
aus diesen ausgewählt. Die EU spricht von absoluter Unabhängigkeit, die so
gewährt sei. Können Sie das bestätigen?
Pia
Eberhardt: Nein. Die
Schiedsrichter werden weiterhin mit lukrativen 3.000 US-Dollar am Tag bezahlt.
In einem System, in dem nur eine Seite klagen kann, nämlich der Investor, ist
das ein großer Anreiz, zugunsten des Investors zu entscheiden. Denn das
bedeutet mehr Verfahren, mehr Einkommen und Macht in der Zukunft. Auch der
deutsche Richterbund hat unter anderem deshalb Bedenken an der Unabhängigkeit
der so genannten Richter geäußert – und klargestellt, dass es sich beim
EU-Vorschlag eigentlich nicht um ein Gericht, sondern um ein permanentes
Schiedsgericht handelt.
Deutsche
Wirtschafts Nachrichten:
Wie wahrscheinlich ist es Ihrer Meinung nach, dass Unternehmen eher von solchen
Schiedsgerichten profitieren als Staaten?
Pia
Eberhardt: Staaten können in
dem System nur verlieren. Sie bekommen nur Pflichten auferlegt – können aber
Investoren nicht verklagen, wenn sie beispielsweise Menschenrechtsverletzungen
begehen oder die Umwelt verpesten. Gewinnen können tatsächlich nur Investoren.
Denn nur sie bekommen weitreichende, einklagbare Rechte.
Deutsche
Wirtschafts Nachrichten:
In Osteuropa gibt es Investitionsabkommen mit den USA, die extrem
investorenfreundlich ausgestaltet sind. Wäre ein reformierter
Investitionsschutz im TTIP, der diese Abkommen ersetzen würde, nicht eine
Verbesserung?
Pia
Eberhardt: Die bestehenden
neun existierenden bilateralen Investitionsabkommen osteuropäischer Staaten mit
den USA können einseitig aufgekündigt werden. Wenn es mit diesen Verträgen
Probleme gibt, gehören sie gekündigt – oder neu verhandelt. Stattdessen
missbraucht die Kommission diese Abkommen, um eine massive Ausweitung des
Investitionsschutzes zu legitimieren. Statt neun Staaten könnten unter TTIP
alle 28 Staaten direkt verklagt werden. Statt ein Prozent der US-Investitionen
in der EU wären 100 Prozent abgedeckt. Und über 50.000 Unternehmen könnten
gegen die EU und ihre Mitgliedstaaten klagen – verglichen mit 4.500 heute. TTIP
bedeutet also nichts anderes als viel größere Klage- und finanzielle Risiken
für viel mehr EU-Mitgliedstaaten.
Deutsche
Wirtschafts Nachrichten:
Sind die Schiedsgerichte, die es heute gibt, und das Investment Court System,
das uns eventuell mit TTIP droht, am Ende lukrativer als erfolgreiche
Lobbyarbeit?
Pia
Eberhardt: Beides greift
ineinander. Die Schiedsgerichte eignen sich ja auch als Lobbyinstrument –
Konzerne nutzen schon heute Klagedrohungen, um Politik zu bekämpfen. Und TTIP
enthält mit der regulatorischen Kooperation noch weitere Kapitel, die
Unternehmen mehr Waffen in der politischen Auseinandersetzung an die Hand
geben. TTIP stärkt die Macht von Unternehmen in politischen
Auseinandersetzungen um Regulierungen, die letztendlich alle betreffen.
Deutsche
Wirtschafts Nachrichten:
Langfristig ist ein internationales Schiedsgericht geplant, das für alle
Konzerne und Länder zuständig ist. Was halten Sie von dieser Idee?
Pia
Eberhardt: Gar nichts.
Letztendlich wäre das ein Gerichtshof, zu dem nur Konzerne und reiche
Privatpersonen Zugang hätten, auf Basis eines materiellen Rechts, das allein
ihre Eigentumsrechte und Gewinnerwartungen schützt. Aber gibt es nicht auch
noch andere schützenswerte gesellschaftliche Interessen? In Zeiten einer
drohenden globalen Klimakatastrophe und drohenden weiteren Finanzkrisen ist die
Ausweitung eines Systems, das Lösungsansätze dieser Probleme vereitelt, weil
dadurch Unternehmensgewinne geschmälert würden, völliger Wahnsinn.
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* Deutsche Wirtschafts Nachrichten, Veröffentlicht:
20.02.16
**Pia Eberhardt ist die Mitautorin der aktuellen Studie
„Investitionsschutz in TTIP: Die EU-Kommission lässt gefährliche
Konzernklagerechte als ISDS-Zombie weiterleben“. Pia Eberhardt arbeitet für die
NGO Corporate Europe Observatory.
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